10 Thesen zur Digitalisierung des Lernens im Unternehmen
Diese zehn Thesen fassen die Erfahrungen aus zahlreichen Beratungsprojekten für Unternehmen, zur Neuausrichtung des betrieblichen Lernens zusammen. Unternehmen geht es dabei darum, die Möglichkeiten digitalisierten Lernens sinnvoll einzubeziehen, um ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei zu unterstützen, sich angesichts der wirtschaftlichen und technischen Dynamik zielgerichteter, schneller und nachhaltiger weiter zu entwickeln.
1. Digitales Lernen ist eine Facette des digitalen Arbeitens.
In dem Maße, wie Arbeit digitalisiert und zur Wissensarbeit wird, verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit, Knowledge-Management und Lernen. Dem stehen indes die überkommenen Strukturen von Unternehmen entgegen, die “Lernen”, in der Regel Teil der Personalabteilung, scharf von der eigentlichen “Arbeit” sowohl organisatorisch als auch zeitlich und örtlich abgrenzen. Lernen und Arbeiten müssen hingegen als kaum zu separierende Bereiche mit großen Überschneidungen gesehen werden. Die Digitalisierung wird im gleichen Maße das Lernen durchdringen und radikal verändern, wie sie andere Aspekte der Arbeit bereits grundlegend transformiert hat.
2. Digitalisierung ist nicht die Konversion bestehender, linearer Classroom-Seminare in e-Learnings
Die Digitalisierung des Lernens sieht sich oft der Forderung ausgesetzt, die Effektivität veränderter Lernformen nachzuweisen, was häufig in eine Debatte darüber mündet, ob digitalisierte Lernformen angesichts ihrer Defizite (z.B. vielfach hohe Abbruchquoten und entsprechend geringe Abschlussraten) klassische Classroom-Trainings tatsächlich ersetzen können. Die Einwände sind begründet, es sollte jedoch nicht implizit davon ausgegangen werden, dass Classroom-Trainings jemals zu überzeugenden Ergebnissen geführt haben: Wir können uns den Ergebnissen der Lernforschung nicht entziehen, die klassischen Fortbildungsansätzen verheerend geringe Lerneffekte bescheinigen.
Darüber hinaus wird es entscheidend sein, die Schablone der Substitution von Seminaren durch digitale Formate beiseite zu legen: Digitale Lernformen sind eigenständige Formate mit jeweils eigenen Stärken und Schwächen. Wie die E-Mail keine hundertprozentige Substitution des klassischen Briefes ist, wird Online-Learning nicht jedes Seminar ersetzen können, wohl aber einen sehr breiten Raum in einer veränderten Lernkultur einnehmen. Überzeugende digitale Lernangebote entstehen daher nicht aus der einfachen Digitalisierung bewährter Offline-Angebote, sondern werden aus den spezifischen Stärken des Formats heraus neu entwickelt.
3. Es gibt phantastische Lernmedien im Netz. Nutzen wir sie.
Viele Unternehmen folgen einem Verständnis von digitalen Lernmedien als extern in Auftrag zu gebenden, einzukaufenden oder zu lizensierenden Inhalten. In dem Maße indes, wie sich beispielsweise Institutionen wie die Harvard University oder das M.I.T. selbst verpflichten, in größtmöglichem Umfang eigene Lerninhalte in digitaler Form frei zur Verfügung zu stellen, wächst das Potential von Open Educational Resources (OER) und anderen frei verfügbaren digitalen Lernmedien sowohl quantitativ als auch qualitativ. Innovative Lernstrategien in Unternehmen beziehen dieses Potential mit ein, zumal um weniger unternehmens-spezifische oder sich mit hoher Dynamik weiter entwickelnde Lernfelder abzudecken. In diesem Sinne sind kostenlose Online-Ressourcen ein wichtiger Pfeiler eines Lern-Ökosystems, bedürfen aber der kritischen Auswahl, Einordnung und kontinuierlichen „Kuratierung“.
4. Die besten Lernmedien werden intern kreiert
Da Lernziele in Unternehmen immer spezifischer werden und sich aus der jeweiligen Unternehmensstrategie ableiten, müssen Unternehmen in Zukunft Lernangebote verstärkt intern entwickeln. Zugleich zeigt die Erfahrung, dass die Lerneffekte simpler, von Kollegen selbst produzierter Lernvideos die Effekte “professionell” von Externen produzierter Inhalte übersteigen, sofern die authentische Begeisterung und Expertise des Kollegen glaubwürdig zum Tragen kommt. Für Unternehmen wird es daher entscheidend sein, die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu motivieren und Anreize zu schaffen, Wissen und Erfahrungen in digitaler Form festzuhalten und weiterzugeben, um in eine sich selbst tragende Lernkultur hinein zu wachsen.
Qualitätssicherung bleibt dabei notwendig, sollte sich aber auf ein Minimum beschränken: Tatsächlich nicht tragbare oder sogar rechtlich heikle Inhalte müssen verhindert werden, zugleich sollten sich Lernverantwortliche aber darüber im Klaren sein, dass es vergleichbare Instanzen zur Qualitätssicherung für ähnliche, informelle Lernformen in der Offline-Welt zu keinem Zeitpunkt gab.
5. Machen wir es knapp. Smartes Microlearning ist keine Verflachung.
Effektive digitale Lernprodukte folgen dem Microlearning-Ansatz und unterteilen die Inhalte in extreme kleine Einheiten, die teilweise eine Lernzeit von weniger als einer Minute erfordern. Nur auf den ersten Blick scheint dies - gewöhnt an übliche Seminarstrukturen - notwendigerweise mit einer Verflachung der Inhalte einherzugehen. Im Gegenteil: Intelligent zugeschnittene Mikro-Einheiten sind die Voraussetzung dafür, Lernwege vor dem Hintergrund der spezifischen Voraussetzungen, Ziele und Präferenzen eines jeden Lerners sinnvoll zu individualisieren und die Inhalte überdies für die zielgerichtete Wiederholung/Vertiefung einzelner Inhalte zu nutzen. Damit lösen sich statische und lineare Kursstrukturen zunehmend zugunsten individuell und kontinuierlich zu nutzender, digitaler Lernumgebungen auf.
6. Beim digitalen Lernen gilt: Mobile first
Gerade die Nutzung von Lerninhalten “on-demand” geht i.d.R. mit mobiler Nutzung einher. In privaten, weniger reguliertenKontexten überwiegt heute schon die Nutzung mobiler Endgeräte. Unternehmen müssen sich in ihren Lernstrategien an diese intuitiven Nutzungsweisen anpassen und über Cloud-Lösungen die Nutzung über verschiedene Geräte hinweg ermöglichen – zu jeder Zeit, an jedem Ort und mit den unterschiedlichsten Endgeräten.
7. Mitarbeiter werden digitales Lernen aufgreifen – wenn es gut gemacht ist.
Rückblickend kann festgestellt werden, dass die breite Mehrheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter alle technologischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte aufgegriffen und aufgeschlossen in die eigene Arbeit integriert hat. Insofern digitales Lernen nur eine Facette digitalen Arbeitens ist, wird Gleiches auch auf die Digitalisierung des Corporate Learning zutreffen.
Die Tatsache, dass die erste und zweite Generation von e-Learning-Anwendungen weder bei der Mehrheit der Mitarbeiter noch im Management hohe Akzeptanz gefunden haben, ist daher Ausdruck der mangelnden Qualität und Nutzerorientierung dieser Produkte. Design Thinking und andere agile Entwicklungsmethoden mit ihrer konsequenten Nutzerorientierung bergen daher große Chancen, überzeugendere digitale Lernumgebungen sowohl hinsichtlich der Inhalte als auch der Prozesse/Systeme zu entwickeln. Zukünftig muss der aktive “Pull” aus der Mitarbeiterschaft nach mehr digitalisiertem Lernen als Maßstab für die Qualität der Angebote gelten.
8. Es geht nicht um technische Herausforderungen, sondern primär um eine Haltungsänderung bei den Mitarbeitern.
Der Erfolg digitalen Lernens hängt wesentlich davon ab, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst Verantwortung für ihre persönliche Weiterentwicklung übernehmen. In einer digitalen Lernkultur ist es Aufgabe des Unternehmens, vielfältige Lernangebote bereitzustellen und Orientierung zu geben. Noch starker als bei traditionellen Lernformaten wird aber der Erfolg digitaler Lernangebote von der Motivation, Verantwortung und Fähigkeit jedes einzelnen Mitarbeiters abhängen, das eigene Lernen in die Hand zu nehmen, sich Lernziele zu setzen und das eigene Lernen zu steuern. Nicht primär die Bereitstellung neuer Technologie oder die Entwicklung geeigneter Inhalte, sondern diese Haltungsänderung ist die Kernherausforderung auf dem Weg zu einer digitalen und innovativen Lernkultur im Unternehmen.
9. Die Rollen von Führungskräften und HR werden sich ändern.
Bei der Personalentwicklung folgen Unternehmen häufig einem “Outsourcing”-Ansatz: Lernbedarfe werden dabei von Vorgesetzten identifiziert und an die Personalabteilung delegiert, die Abhilfe schaffen soll. Die Personalabteilungen wiederum agieren wie Einkaufsabteilungen und identifizieren auf dem Markt geeignete Seminaranbieter. In dem Maße, in dem sich das Lernen digitalisiert, wird diese Vorgehensweise scheitern: Vorgesetzte werden es starker als bislang als Teil ihrer Aufgabe verstehen, das Lernen im eigenen Team zu orchestrieren.
Trainingsabteilungen werden entsprechend weniger als Einkäufer von externen Leistungen agieren, sondern geeignete Lernumgebungen selbst konzipieren und dauerhaft “kuratieren” sowie gemeinsam mit Linienvorgesetzten effektive Lernerfahrungen innerhalb der Arbeitsprozesse selbst gestalten. Diese Aufgabe verändert die überkommenen Rollen und erfordert neue Kenntnisse und Fähigkeiten innerhalb der HR-Abteilungen.
10. Sie können heute loslegen.
Digitalisiertes Lernen kann mit den einfachsten, in jedem etwas größeren Unternehmen verfügbaren technischen Mitteln begonnen werden (z.B. einfache WordPress-basierte Intranetseiten oder jede Art von Social-Media-Anwendungen bringen die meisten notwendigen Funktionalitäten mit, zur Not ein einfaches E-Mail-System). Eigentlich gibt es wenige Hürden und das Entscheidende ist, loszulegen und erste Erfahrungen zu sammeln – am besten heute noch.