Strategie-Ermöglicher in einem komplexen Stakeholder-geflecht - Neue Governance-Modelle für Learning & Development

Die alte Frage

Die Frage eines geeigneten Governance-Modells für die betriebliche Aus- und Weiterbildung ist seit je geprägt vom Spannungsverhältnis zwischen einerseits der Dezentralität der Lernbedarfe, die sich innerhalb eines Unternehmens je nach Business Unit, Funktion oder regionaler Gliederung vollkommen unterschiedlich darstellen, sowie der inhaltlichen Kompetenz für diese Themen, die gleichfalls eher dezentral im Unternehmen zu finden ist, und andererseits der kaum bestrittenen Notwendigkeit nach einer Zentralität der Steuerung, die sich u.a. aus der Aufhängung von Learning & Development (L&D) im HR-Bereich ergibt. Für die letzten Jahrzehnte ließen sich die Antworten auf diese Herausforderung drei idealtypischen Modellen zuordnen, die z.B. von Gwen Callas-Miller und Sue Todd beschrieben wurden:

  1. Ein zentralisiertes Modell verortete die Zuständigkeit ausschließlich innerhalb von HR und drohte dabei insbesondere die unmittelbare Nähe zu dezentralen Zielgruppen und ihren tatsächlichen Lernbedarfen zu verlieren.
  2. Ein dezentrales Modelll verortete die Zuständigkeit in den einzelnen Business Units, Funktionen oder auch regionalen Gliederungen (z.B. Landesorganisationen) und riskierte dabei Ineffizienzen durch teilweise redundante Angebote, parallele Strukturen, mangelnde Stringenz der Inhalte und einen Verlust der übergeordneten Transparenz und Steuerbarkeit der vielfältigen Lernangebote.
  3. Ein "föderales" Modell versuchte, die Zuständigkeiten zwischen zentralen und dezentralen Aufgaben aufzuteilen. Diese Aufteilung der Zuständigkeiten erfolgte dabei zumeist entlang der Trennung von einerseits überfachlichen (zentralisiert bei HR) und andererseits fachlichen (dezentral) Lernbedarfen, was sich jedoch in der Praxis häufig als problemtisch erwies und de facto vielfach zu konkurrierenden Lernorganisationen und aufwändigen Abstimmungsprozessen führte. 

Die Akzente verschieben sich

Die Herausforderung, ein sinnvolles Governance-Modell für Learning & Development zu entwickeln, wird zuletzt durch verschiedene Entwicklungen, insbesondere die Digitalisierung von Geschäftsmodellen einerseits und Lernaktivitäten andererseits, noch drängender:

  • Die Notwendigkeit zur systematischen Weiterbildung wird durch die rasante wirtschaftliche wie technische Entwicklung immer deutlicher; zugleich wächst die Erwartungen an die Passgenauigkeit und Individualisierbarkeit von Lernangeboten. Wesentliche Themen der strategischen Weiterentwicklung des Gesamtunternehmens (z.B. Digitalisierung, Agilität) lassen sich dabei nicht mehr entlang der Zweiteilung von fachlichen versus überfachlichen Lernbedarfen zuordnen.
  • Die zunehmende Digitalisierung des Lernens erfordert den Aufbau und Betrieb entsprechender Learning-IT (u.a. Learning Management Systeme) und verschiebt damit die Gewichte in Richtung einer eher zentralen Zuständigkeit von HR als “Owner” der entsprechenden Systeme.
  • Lernen wird unternehmensweit transparenter und somit vergleichbarer und muss sich zugleich in dem Sinne professionalisieren, dass reflektiertere didaktische Konzepte, eine breiter gewordene Palette von Lernformen/-formaten zum Einsatz kommen und ein höherer Anspruch an die “employee experience” gestellt wird; es bedarf damit nicht nur in technischer, sondern auch didaktischer, prozessualer und qualitativer Hinsicht verbindlicher unternehmensweiter Standards.

Vor diesem Hintergrund hat sich die Landschaft unterschiedlicher Governance-Modelle weiter aufgefächert, so dass heute im Wesentlichen fünf idealtypische Modelle zu finden sind:

Auffällig ist dabei die Entwicklung innerhalb vieler Konzerne, ihr Governance-Modell zugunsten stärker zentralisierter Zuständigkeiten zu verändern, insbesondere um die Möglichkeiten der Digitalisierung des Lernens effektiv und effizient nutzen zu können und das Corporate Learning insgesamt weiter zu professionalisieren im Sinne einer konsequenteren Ausrichtung an der Unternehmensstrategie sowie am Anspruch, über Corporate Learning nachweislich zur Performance-Steigerung beizutragen.

Insbesondere ist zu bemerken, dass immer mehr Unternehmen das hybride Modell einer Bündelung strategischer Themen und umfassenden zentralen Unterstützung (hier Modell 4) wählen, um in der Lage zu sein, auch fachliche Lernbedarfe von übergreifender strategischer Bedeutung (z.B. “digital up-skilling”) stringent unternehmensweit angehen zu können. Um zugleich aber auch auf Spezifika unterschiedlicher Unternehmensbereiche eingehen zu können, entstehen “LEGO”-Ansätze, die darauf zielen, zentral entwickelte Curricula systematisch um dezentral zu ergänzende Bausteine anzureichern.

Chancen wie Risiken

Dieses Vorgehen birgt Chancen wie Risiken. Zu den Chancen zählen:

  • Learning & Development kann sich neu positionieren und sich glaubwürdig dem Anspruch stellen, wesentlicher Strategie-Ermöglicher zu sein, dessen Handeln eng an die Unternehmensstrategie angebunden ist.
  • Unternehmen können ihre Corporate Learning-Aktivitäten weiter professionalisieren und gewinnen bessere Voraussetzungen für die Qualitätsentwicklung, Innovationsfähigkeit und Digitalisierung ihrer Personalentwicklungsaktivitäten.

Zugleich entstehen neue bzw. verschärfen sich bereits bestehende Herausforderungen für Learning & Development:

  • L&D handelt in einem noch komplexeren Geflecht von Stakeholdern mit teilweise unterschiedlichen Erwartungen und Interessen.
  • Die Akzentverschiebung zugunsten einer stärker zentralen Zuständigkeit erhöht das Risiko eines Verlusts der Nähe zu den Lernern, ihren Erwartungen und tatsächlichen Bedarfen und Wünschen.

Keine Wunderkräfte, aber überzeugende Vorteile

Vor diesem Hintergrund erweist es sich als entscheidend, dass Learning & Development neue Arbeitsweisen entfaltet, mit denen L&D in einem komplexen Geflecht von Stakeholdern dennoch in der Lage ist, in hohem Tempo Lernprogramme von strategischer Bedeutung mit betonter Nutzerzentrizität zu entwickeln. Design Thinking und agile Entwicklungsansätze haben keine Wunderkräfte, diese vielschichtigem Herausforderungen aufzulösen, bergen aber gerade durch ihre Nutzerzentrizität und die Offenheit für die Einbindung unterschiedlicher Akteure die besten Chancen, dem neuen Anspruch an Learning & Development als Strategie-Ermöglicher in einem komplexer werdenden Umfeld gerecht zu werden.